Mitarbeiter denken mit – wenn sie dürfen

Allgemein

Neulich im Pausenraum in der Alois Heiler GmbH: „Das war vielleicht eine Nummer. Der Typ erschien mir gleich komisch. Er kam gestern zum Probearbeiten. Über den Tag lief es einigermaßen. Dann, vor dem Gehen, der große Knall. Er verlangt von mir Reisegeld und Lohnausgleich. Ich bin völlig ahnungslos, wie er dazu kommt. Das wollte bisher niemand.”

Sie können sich vorstellen: In einem hierarchisch geführten Unternehmen hätte sich Sophia, eine Mitarbeiterin aus der Auftragsabwicklung, an ihren Chef gewandt und die Verantwortung damit ohne Umschweife aus der Hand gegeben. Denn er hätte ihr gesagt, was sie tun soll.

Nicht so Sophia. Nicht so bei Heiler Glas.

Mit oder ohne Plan?

Da es bei uns keine Vorgesetzten mehr gibt, musste Sophia sich eben etwas überlegen: „Ich ließ mir seine kompletten Daten geben und erklärte ihm, dass ich mich informiere und bei ihm melde. So telefonierte ich nachfolgend mit dem Firmenanwalt.“

Dieser sagte Sophia, dass wir als Firma tatsächlich zu diesen Zahlungen verpflichtet sind. Allerdings bittet darum kaum ein Bewerber. Außerdem braucht es für Probetage einen besonderen Vertrag, den er ihr anschließend zuschickte. Und auch der nächste Schritt war für Sophia vollkommen logisch: „Gerade schreibe ich eine E-Mail an alle, erkläre die Angelegenheit und hänge das Dokument mit an.“

Mit Köpfchen

Sophia zeigte uns, wie gut eigenverantwortliches Handeln funktioniert. Wir erkannten: Fehlen die formalen Führungskräfte, müssen sich die Mitarbeiter entscheiden. Stehe ich zum Unternehmen? Benutze ich meinen Kopf? Stelle ich mich den Vorfällen?

Für uns steht es außer Frage, dass Mitarbeiter dazu fähig sind. Wie gut sie für die Firma mitdenken können, hängt natürlich im gewissen Maße mit ihrer persönlichen Biografie zusammen. Doch Eigenständigkeit baut auch und vor allem auf Übung. Wir werden geboren und lernen zu laufen, zu reden, zu rechnen etc. All das ist von Beginn an in uns angelegt. Wie wir uns darin entwickeln, ist wiederum verbunden mit dem, was die Umwelt von uns erwartet und wie sie uns darin unterstützt.

Mitdenkende Mitarbeiter

Ähnlich verhält es sich mit der Selbstständigkeit. Je früher jemand anfängt, sie in Gesellschaft zu üben, umso einfacher fällt es ihm, in einem selbstorganisierten Unternehmen klarzukommen. Sie sehen also selbst: Ein Arbeitsleben, das aktiv darauf zählt, bildet auch die Fertigkeit Zug um Zug (weiter) aus. Besonders spannend für mich ist die Erkenntnis, dass es mehr Mitarbeiter gibt, die selbstständig arbeiten wollen, als wir anfangs dachten. 

Zwei Jahre nach Beginn unseres Veränderungsprozesses war mir unklar, ob und wie viele Mitarbeiter sich entschließen würden, die Interessen des Betriebs in die eigenen Überlegungen einzubeziehen. Manch ein Aktivposten zog es damals noch vor, uns zu verlassen. Und doch sah ich, dass es praktisch jedes Mal hinter ihnen schon einen Kollegen gab, der die Lücke füllte. Wie sich herausstellt, häufig mit Einfällen, die die Firma nach vorne bringen.

Miteinander im Takt

Inzwischen bewerben sich Entscheidungsträger von anderen Arbeitgebern bei uns. Sie haben genug von den politischen Spielchen dort. Ständige Intrigen zehren an ihren Nerven. Sie sind es leid, schlechte Konzepte von selbstzufriedenen Vorgesetzten zur Umsetzung anzuweisen. Sie sehnen sich danach, mit Teamkollegen auf Augenhöhe zu arbeiten. Probleme zu lösen, anstatt sie wie den Schwarzen Peter zwischen den Kästchen im Organigramm zu verschieben. 

So sehen wir Tag für Tag, dass es ausreichend Menschen gibt, die eigenständig arbeiten. Der Firmenalltag geschieht. Ohne formale Hierarchie. Chaos bleibt aus. Natürlich tauchen regelmäßig Komplikationen auf, doch die hatte es auch vorher mit Chefs gegeben. Die Kunden und die Prozesse geben den Takt vor und die bestehenden Absprachen halten die Firma am Laufen. 

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