Auch in meiner Firma gibt es immer wieder Krisen. Es ist nicht alles Zuckerwatte hier: Veränderungen, Ängste, Sorgen, von denen sind wir nicht ausgeschlossen. Wir gehen damit im Unternehmen mit den Prinzipien von New Work so vor: Wir begegnen uns auf Augenhöhe, jeder hat eine Stimme, wir leben Diskurse, Diskussionen, „abweichende“ Meinungen offen und ehrlich. Wir kommunizieren sehr, sehr viel. Transparenz wird groß geschrieben. Wir holen uns vielfältigste Impulse aus der Wirtschaft und der Wissenschaft und lassen diese in unser Unternehmen einfließen: ob technologisch oder philosophisch. Wir wollen uns weiterentwickeln.
Und … tja, da merke ich doch einen großen Unterschied zur gegenwärtigen Politik. Und komme zum Schluss:
In vielen Unternehmen geht’s gerade demokratischer zu als in unserer Gesellschaft.
Denn wie geht die Politik nun seit über einem Jahr mit der Corona-Krise um? Ich sehe keine echte Transparenz, keine Diskurse, keine gemeinsamen Entscheidungen, keine Offenheit für neue Erkenntnisse. Da wird gerade regiert wie in einem altmodischen Unternehmen, in dem der Patriarch von weit oben macht, was er will. Und abweichende Meinungen? Werden mundtot gemacht.
Das führt – natürlich – zu Spaltungen in der Gesellschaft, denn die einen folgen den Anweisungen gerne, die anderen nicht und die beiden Lager schaffen es nicht, sich miteinander auszutauschen. Das ist es, was mich besorgt macht! Ich habe es selbst in den letzten Monaten mitbekommen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, dass Menschen nicht mehr miteinander sprechen. Das ist erst einmal schade. Aber mehr als das:
Ich sehe es auch aus meiner Brille als Unternehmer: Spaltung führt zu Stillstand, zu Unbeweglichkeit.
Streiten, dass es weh tut
Bei einem großen Digitalisierungsprojekt hätte es bei Heiler zu so einem Stillstand kommen können. Wir standen vor der Entscheidung, wie und was wir in die Digitalisierung investieren. Wenn wir in solchen Momenten in der Diskussion eine 50/50 Spaltung erkennen – dann arbeiten wir an den Widerständen, dann diskutieren wir, auch wenn’s weh tut. Themen wie Digitalisierung sind natürlich besonders anfällig für Angst und Streit, weil es hier um den Verlust des Arbeitsplatzes gehen kann (oder zumindest um den Verlust des Arbeitsplatzes, wie er bisher aussieht).
Um solche Auseinandersetzungen – bei denen alle reden und gehört werden – zu ermöglichen, braucht es Vertrauen. Vertrauen darin, dass alle Meinungen zugelassen sind. Vertrauen darin, dass Mitarbeiter nicht einfach wegrationalisiert werden. Und ganz wichtig: Andersdenkende werden natürlich nicht als Idioten (besonders kreative Spalter würden sicherlich schnell auf eine Wortschöpfung à la Digidioten kommen) abgestempelt.
Das sollte für unser Land gelten
Vor einigen Jahren haben wir noch gesagt: Es wäre so schön, wenn die Unternehmen demokratischer würden – wie unsere Gesellschaft, in der jeder eine Stimme hat! Und während es natürlich immer noch viele klassisch-direktiv geführte Unternehmen gibt, wird der Einfluss von New Work immer größer. Nicht nur viele Startups, auch große Konzerne wie die Telekom nehmen immer mehr New-Work-Erkenntnisse an. So kommt Demokratie immer mehr in die Unternehmen.
Ich habe selbst erlebt, welche Energie bei der Belegschaft durch unsere Unternehmenskultur ausgelöst wurde, wie die Bereitschaft wächst, Probleme gemeinsam anzugehen und zu lösen. Und das weckt mit Blick in die Zeitung jeden Morgen wieder die Sehnsucht in mir: Die Sehnsucht, in einem Land und besser noch, in einer Welt zu leben, in der diese Kultur nicht nur in einzelnen New-Work-Unternehmen, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft lebt.
1 Kommentar. Leave new
Sehr treffend und auf den Punkt ausgedrückt, lieber Stephan!! Und ein SEHR verständlicher und jetzt schon nahezu über-lebens-wichtiger Wunsch, bei dem allerdings eine Frage ungeklärt ist (oder will ich dies nur nicht wahrhaben und sehen, dass die ja an sich auch schon alleine dadurch geklärt ist, dass genau das passiert, was gerade passiert??):
Was ist der Unterschied zwischen den Unternehmen, die nach demokratischen Prinzipien geführt werden und der aktuellen politischen Situation, die zunehmend weniger das Attribut „demokratisch“ verdient??
Du als Unternehmer bietest (freiwillig und aus Eigen-Motivation) an, dass andere Menschen sich mit Dir im Unternehmens-Kontext auf Basis der gemeinsam gefundenen Prinzipien (Konsens!) austauschen und zusammenarbeiten. Ohne weitere „Hintergedanken“ oder destruktive Absichten bzw. „Themen HINTER den Themen“.
DAS erlebe ich in der derzeitigen SPALT-Situation völlig anders. Und genau deshalb ist die Hoffnung auf mehr „Demokratie und New-Work-Prinzipien in der Gesellschaft“ berechtigt und auch ich würde sie NIE aufgeben. Gleichzeitig braucht es aber auch einen passenden RAHMEN für diese New-Work-Prinzipien und den sehe ich leider bei vielen Protagonisten der diversen Krisen derzeit nicht gegeben…..