Bewährt sich New Work in Corona-Zeiten? Ein Praxisbeispiel – Stephan Heiler

Bewährt sich New Work in Corona-Zeiten? Ein Praxisbeispiel

Allgemein, Transformation

Ziemlich genau sechs Jahre ist es her, seit wir bei Heiler Glas den Sprung ins kalte Wasser gewagt und uns zu einer selbstgesteuerten Organisation transformiert haben. Das war damals ein mutiger Schritt hinein in New Work (obwohl wir diesen Begriff damals noch gar nicht kannten), und viele Beobachter waren gespannt, ob unser Experiment gelingen würde. Inzwischen sind wir ein gelungenes Praxisbeispiel dafür, dass New Work in einem mittelständischen, produzierenden Unternehmen nicht nur funktionieren kann, sondern dass der Laden auch wunderbar läuft – auch ohne Ansagen von „oben“.

Doch dann kam Corona und erneut richteten sich neugierige Blicke auf Heiler Glas: Funktioniert die Mitarbeiterverantwortung auch dann noch, wenn es hart auf hart kommt? Oder ist New Work doch nur eine Kultur für Schönwetter-Phasen?

Praxisbeispiel New Work: Kurzarbeit ja oder nein?

Dazu will ich Ihnen exemplarisch erzählen, wie bei uns im Betrieb die Entscheidung zur Einführung der Kurzarbeit lief, auf die wir – wie drei Viertel der Unternehmen in Deutschland auch – angesichts der Situation aktuell angewiesen sind.

Kurzarbeit für die Mitarbeiter zu beantragen, ist in den üblichen Strukturen eindeutig Chef-Sache. Und ich gebe zu: Ich war als Unternehmer und Geschäftsführer in dieser Ausnahmesituation versucht, wieder in meine alte Rolle zu gehen. Es gab auch Mitarbeiter, die das forderten.

Aber ich habe die Sache ausführlich mit unserer Betriebskatalysatorin Caroline Weindel besprochen und wir waren übereinstimmend der Meinung: Nein, wir wollen auch hier die Entscheidung als gesamte Belegschaft treffen und somit auch gemeinsam die Verantwortung konsequent tragen. Und dieses Vorgehen hat sich als sehr sinnvoll erwiesen.

Information plus Verantwortung

Was wir gemacht haben, war Folgendes: Wir haben uns in dem Strukturkreis, den wir vor einiger Zeit eingerichtet haben, mit den Zahlen, Daten und Fakten dieser Krise befasst: Wie hoch ist unsere Liquiditätsdecke? Was sind unsere Herausforderungen? Wenn wir Kurzarbeit beantragen: Was bedeutet das für uns Mitarbeiter? Was für das Unternehmen?

Gleichzeitig haben wir ganz stark auf Transparenz geachtet. Und weil wir ja zum Beispiel keine Betriebsversammlung mehr einberufen durften, haben wir dafür auch neue Formate entwickelt. So haben wir ein 40minütiges Video gedreht, in dem wir geschildert haben, wie es bei uns auf dem Konto aussieht, welchen Finanzierungsspielraum wir haben etc. Wir haben erklärt, wie Deckungsbeitrags- und Break-Even-Berechnung geht, wie sich Kurzarbeit auf die Fixkosten auswirkt, was das für den Mindestumsatz heißt. Und wir haben die Rechnungen aufgemacht, wie stark sich eine 80%ige Kurzarbeit tatsächlich im Nettogehalt bemerkbar macht.

Das war unser Kick-off für den Entscheidungsprozess: Kurzarbeit beantragen, ja oder nein? Die Entscheidung hierfür lag bei der Belegschaft und wurde in den einzelnen Teams besprochen.

Alle an einem Strang

Bis auf ein einziges Team entschieden sich alle Mitarbeiter für die Beantragung der Kurzarbeit – und selbst das eine Team zog eine Woche später nach.

Wir haben also eine ganz andere Entscheidungsfindung und auch Verantwortungsübernahme durch die Leute, als wenn ich als Chef über alle Köpfe hinweg entschieden hätte. Dann hätte ich wesentlich mehr Widerstand in der Belegschaft. So aber gibt es kein Nörgeln, kein Meckern. Alle ziehen an einem Strang aufgrund der ganz klaren gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung.

Schlecht-Wetter-Tauglichkeit bewiesen

Für mich ist das eine schöne Bestätigung, dass unser Modell eine Entscheidungskultur mit sich bringt, die nicht nur für Schön-Wetter-Zeiten geeignet ist. Gerade wenn es ans Eingemachte geht, zahlt sich unser Ansatz erst richtig aus.

Neben den notwendigen Maßnahmen im Bereich Kostenreduzierung arbeiten wir aktuell aber auch an Zukunftsthemen wie der weiteren Digitalisierung unserer Prozesse und an der Erschließung neuer Kundengruppen. Im April konnten wir unsere neue Glasduschenserie „evo“ auf den Markt bringen. Zudem haben wir heiShield, ein Trennwandsystem aus Glas als hochwertigen Infektionsschutz, von der Idee bis zur Markteinführung gebracht.

Geradezu spektakulär fand ich auch, wie unser Unternehmen binnen drei Tagen auf Home Office umgestellt hat – und das zu einem Zeitpunkt, als ich selbst das Thema Ausgangsbeschränkungen noch gar nicht so auf dem Schirm hatte. Aber dazu und zu den vielen anderen Begebenheiten erzähle ich Ihnen gerne mehr an anderer Stelle in diesem Blog oder auch im persönlichen Gespräch.

Bleiben Sie gesund!

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4 Kommentare. Leave new

  • David Polte
    29. Mai 2020 10:53

    Stephan,
    Das ist eine fantastische Geschichte. Ein Bekannter Geschäftsführer im Mittelstand hat mir ganz gleiches berichtet. In der Krise hat sich die kollegiale Führung erst recht bezahlt gemacht. Bezahlt, weil das Unternehmen gemeinsam eine Phase durchgestanden hat, die ohne den Einbezug der ganzen Mannschaft deutlich verheerender ausgehen hätte können.

    Danke für den Artikel,
    David

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  • […] oder anderen Schulterklopfer bekomme. Schließlich können wir bei unserer Transformation von einem echten Erfolg […]

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  • […] Veränderung der Unternehmenskultur, die Transformation bei Heiler Glas weg vom klassisch geführten Unternehmen hin zum […]

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  • Martina Fuchs
    23. April 2022 7:46

    Hallo Stephan. Mit deiner Vorgehensweise hast du dem Mut bewiesen Verantwortung, Informationen und Entscheidungen zu teilen. Dadurch hatten die Mitarbeitenden die Chance ihrerseits Verantwortung und Entscheidungen mit zu übernehmen und tragen. Dies stärkt gegenseitige Solidarität enorm und du hast völlig Recht: besonders in schwierigen Situationen reift der Prozess des „einander vertrauen und helfen“, das Unternehmen wächst zusammen.
    Herzlichen Gruß, Martina Fuchs

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